Schmitz, Ulrich (2001)
Optische Labyrinthe im digitalen Journalismus

INHALT

 

1. Online - mehr oder weniger Zeitung?

2. Textkohärenz und Flächendesign

2.1 Innere Gliederung und äußere Gestalt

2.2 Der Bildschirm als Textschirm

2.3 Orientierung in hypermedialen Zeichenmengen

2.4 Hypermedia-Dokumente als Magazine für Sinnkonstruktion

3. Bilder bei Texten, Texte bei Bildern

3.1 Vier Aufgaben von Bildern in Online-Zeitungen

3.2 Vier Arten von Text-Bild-Beziehungen

4. Besseres Design für Online-Zeitungen

 


 

1. Online - mehr oder weniger Zeitung?

 

[...]

 

1) Online-Zeitungen werden ausschließlich digital ("immateriell") transportiert. Papier, Druck und Vertriebsweg entfallen. Deshalb verfügen sie über (prinzipiell) unbegrenzt viel Platz. Kosten entstehen, abgesehen von vergleichsweise minimalen Hard- und Softwarekosten, im wesentlichen nur für die redaktionelle Arbeit (Informationsbeschaffung und -aufbereitung).

 

2) Online-Zeitungen können so stunden- oder minuten-aktuell sein wie Rundfunk und Fernsehen. Im Gegensatz zu diesen können sie aus dem gesamten erscheinenden Material mit einfachsten Mitteln Archive aufbauen, die jederzeit ad hoc auch noch in Monaten oder Jahren eingesehen werden können, und zwar auf genau die gleiche Weise wie das aktuelle Material.

 

3) Online-Zeitungen werden normalerweise am Bildschirm gelesen, und zwar als Hypertext. Das befreit die Hände beim Lesen, strapaziert die Augen auf andere Weise als Papierlektüre, schränkt die auf einen Blick wahrnehmbare Fläche stark ein, zieht eine mehr labyrinthische und weniger lineare oder flächige Lektüreweise nach sich und läßt eine stärkere Medienmischung (einschließlich Audio- und Videosequenzen) zu als in allen herkömmlichen Massenmedien.

 

Insgesamt intensivieren Online-Zeitungen also drei Dimensionen von Kommunikation, nämlich (1) Menge, (2) Zeit und (3) Raum. Alles wird entweder mehr (1 und 2) oder dichter (2 und 3). Im Vergleich zu Papierzeitungen zeichnen sich Online-Zeitungen durch größere Informationsfülle, schnellere Aktualisierung und Übertragung sowie stärkere (nonlineare und modale) Komplexität aus.

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Das vierte Potential, welches digitale Medien intensivieren, nämlich Interaktivität, wird von Online-Zeitungen derzeit (noch?) kaum ausgenutzt, wenn man von einer im Vergleich zu Papierzeitungen manchmal größeren Menge möglicherweise auch unredigierter Leserbriefe in einigen Diskussionsforen einmal absieht.

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Wir konzentrieren uns im folgenden ausschließlich auf Beziehungen zwischen Text und Bild.

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3) So liegt die entscheidende Herausforderung für die Gestaltung von Text-Bild-Beziehungen im dritten Bereich, der freilich mit den beiden zuvor genannten verbunden ist. (a) Texte werden schneller aufgebaut als Bilder. (b) Texte, grafische Elemente und Bilder konkurrieren auf einer Bildschirmseite um stark begrenzten Raum. (c) Die Hypermedia-Technik (Links) eröffnet eine komplexe, nicht leicht zu erschließende dritte Dimenson hinter der sichtbaren Fläche. Meist dienen dabei recht unterschiedliche Elemente in Text und Grafik (sowie theoretisch auch Fotos) jeweils gleichzeitig als Links zu den noch unsichtbaren textuellen und/oder visuellen Informationen dahinter. (d) Und aus diesen drei Gründen (a - c) sind die semiotischen Beziehungen zwischen den verschiedenen Zeichenarten (Text, Textdesign, Seitenlayout, Grafik, Foto, Link-Semiotik etc.) komplexer und deshalb auch schwieriger zu entschlüsseln als in Papierzeitungen.