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WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
Feature
LEO Engels Malediktologie

 

Motherfucker, Djävels und Evolutionsbremsen

Die Welt der Malediktologen.



Von Eva Engels


Hinab gestiegen in das Reich der Arschgeigen: Malediktologie erforscht die dunklen Sphären der kommunikativen Abgründe ohne Sauerstoff und Schutzanzug. Ihr Untersuchungsobjekt: Mal lustige, mal obszöne, mal sprichwörtlich hundsgemeine Schimpfwörter. Ihr Werkzeug sind psychologische, soziologische und auch linguistische Mittelchen, die helfen, manch kleine Gemeinheit in unendlich vielen Sprachen auf Herz und Nieren – oder besser auf Himmel, Arsch und Zwirn – zu prüfen.

„Dou Trutschel!!“ schallt es durch die Küche der beschaulichen 4-Zimmer-Wohnung in dem sonst so ruhigen Eifelstädtchen Mayen. „Bat willste!? Dou Döllebes!“ Verschmitzt blinzelt das Ehepaar Spitzlei sich an. „So was könnten wir den ganzen Tag machen!“ meint der 73-jährige Reinhold Spitzlei schmunzelnd. Und mit „so was“ meint er nicht reden, Fußball gucken oder lachen, ganz im Gegenteil: Er denkt ans Schimpfen. Sein Leben lang arbeitet Reinhold Spitzlei mit Herzblut an den messerscharfen Wortattacken rund um seine „Muttersprache“, den Mayener Dialekt. Besonders angetan haben es ihm Trutschel, Döllebes oder Faa-Koo, geheime Wesen deren Existenz jeder Nicht-Eifeler entbehren muss. „Nun ja, eine Trutschel ist eine untersetzte, ältere Dame, die zwar körperlich da ist, aber selten eine geistig helle Minute hat.“ erklärt der Hobbylinguist. Zwinkernd führt er hinzu: „Das passt eigentlich gar nicht wirklich zu meiner Inge.“

Der Spaß am Male dictus
Wenn man sich über jemanden oder etwas ärgert, unterstreicht man das gerne mit schlechter oder böser Sprache, lat. male dictus, Plural maledicta. Etwa fünf Prozent der Gespräche am Arbeitsplatz und über zehn Prozent der Freizeit-Unterhaltungen bestehen aus Fluchen und Schimpfen, wie der amerikanische Psychologe Timothy Jay herausfand. Schimpfwörter sind gerade wieder im Kommen, wissenschaftlich gesehen. Nicht nur Hobbylinguisten wie Reinhold Spitzlei beschäftigt die Herkunft und Funktion vom Fluchvokabular.

Finger
Es geht auch ohne Worte: Stinkefinger, als nonverbales fuck you.
Bereits die Römer nutzten das Phallussymbol, um ihre Kontrahenten zu verhöhnen,
genannt digitus impudicus ("unzüchtiger Finger") .

Ob Dialekt, Landessprache oder sogar Gebärdensprache, Menschen schimpfen immer und überall. Hierbei macht es auch keinen Unterschied, welchen Alters die Flucher sind. Interessant ist allerdings, dass die Jugend häufiger neue Schimpfwörtertrends setzt, wie vor Zeiten Weichei, Warmduscher oder Frauenversteher. Im Deutschen sind insgesamt laut Statistik über 80% der Schimpfwörter noch jugendfrei, nur bei 13% müssen die Kleinen sich die Ohren zuhalten.

Fluchen – pädagogisch wertvoll?
Von Pädagogen wird ohnehin häufig gefordert, strenger gegen verbale Attacken vorzugehen. So auch von Prof. Dr. Mechthild v. Schönebeck, Musikpädagogin der Universität Dortmund. Sie hat sich besonders mit den Tiernamen befasst, und aus diesem Grund ein Musical mit dem Titel Als die Tiere die Schimpfwörter leid waren geschrieben, das sich durch großen Erfolg auszeichnete. Das Musical „soll eigentlich nichts weiter als das tierische Schimpfen bewusst machen – und es dadurch vielleicht aus dem Wortschatz der Kinder verbannen. “ gibt Schönebeck an. Ob nun verbannungswürdig oder nicht, wir fluchen und schimpfen überall und auch bei jedem Anlass. Dass es keine Ausnahmen gibt, weiß man seit Joschka Fischer, der im Bundestag „Mit Verlaub, Herr Präsident, sie sind ein Arschloch!“ zum Besten gab.

Schimpfen überregional
Troutschel
, Faa-Koo oder Stickel, Hembels, Bunsel, Aalkaniggel, das klingt für Eifeler Ohren tausendmal besser als so ein hochdeutsches Arschloch. Aber warum schimpft man überhaupt im Dialekt? „Die Leute neigen dazu, ihre Gefühle in der ihnen vertrauten Sprache auszudrücken“, erklärt Oksana Havryliv. Die ukrainische Dozentin für Germanistik forscht an einer Typologie der Schimpfwörter, die so bisher noch nie erstellt wurde. Ihre Studie soll besonders den Wiener Schmäh wissenschaftlich unter die Lupe nehmen. Aber nicht nur Wien hat lustiges Fluchvokabular, auch bei uns gibt es da so einiges. Wenn ein Schwabe wie Klinsmann beispielsweise mal so richtig Dampf ablassen will, dann hat er eine Mannschaft von „Granadeseggele“ vor sich. Oder ein bayrischer Beckenbauer, der einen mit „Du dreckerter Muhagl“ ganz schön erwischen könnte. Das Potenzial des Forschungsfeldes Fußball kennt man nicht erst seit Trapatonies "Flasche leer".

Schimpfen interkulturell
Aber nicht nur regionale sondern auch kulturelle Unterschiede können festgestellt werden, wie die Malediktologen, also Schimpfsprachforscher, herausgefunden haben. Sie beschäftigen sich mit dem Fluch- und Schimpfwortschatz unterschiedlicher Kulturen – sowohl aus psychologischer, soziologischer als auch linguistischer Sicht. Der in Amerika dozierende Professor Reinhold Aman stellte heraus, dass es weltweit drei Gruppen von Schimpfern gibt.

Wer ist Reinhold Aman?
Reinhold Aman, der am 8. April 1936 in Fürstenzell in Bayern geboren wurde, ist einer der weltweit bekanntesten Malediktologen. Er wuchs in Straubing und Oberschneiding auf, studierte in Augsburg Chemotechnik. Bereits mit 21 Jahren emigrierte er: erst nach Kanada und dann zwei Jahre darauf in die USA. Dort unterrichtet er Sprachen und Literatur. Er spricht sechs Sprachen aktiv, sein bayrischer Dialekt und Jiddisch mit eingerechnet, und versteht mehr als 20 Sprachen. Seit 1965 untersucht er verbale Aggression in über 220 Sprachen – ob modern oder 5000 Jahre alt. Er schrieb das Bayrisch-Österreichische Schimpfwörterbuch und "Opus maledictorum - A book of bad words". Er ist Chef der weltweit einzigen Zeitschrift über Schimpfwörter: der Maledicta.
Reinhold Aman

In den stark religiös geprägten Regionen der Welt gebe es nichts Schlimmeres als die Religion oder Gott zu verfluchen. Solche „Gotteslästerer“ findet man in allen katholischen Gebieten, beispielsweise in Schweden: Ihr Lieblingsschimpfwort ist „djävel“, also Teufel. Eine andere Gruppe umfasst die „Familienschänder“. Sie fluchen, indem sie Schlechtes über Familienmitglieder, besonders die Mutter, sagen. Einem Araber entspringt dann schon mal ein „ Ich furz in den Bart deines Vaters." oder “Deine Mutter hat verweste Genitalien."

Ganz anders sieht es bei den „Prüden“ aus, wie Reinhold Aman beispielsweise die Amerikaner einordnet. Sie fluchen am häufigsten mit Bezeichnungen für Geschlechtsteile und Körperausscheidungen. „Shit“, „Fuck“ und „Asshole“ müssen regelmäßig im amerikanischen Fernsehen ausgepiepst werden. Die Amerikaner machen dies sogar so häufig, dass im Sommer 2004 ein Gesetz gegen „Fuck“ und „Shit“ im Fernsehen oder Radio erlassen wurde: pro Verbalattacke bis zu 275 000 Dollar Strafe. Gehen wir in Deutschland lockerer mit dem Fluchvokabular um? Ja, meinen Damaris Nübling und Marianne Vogel in ihrer Studie "Fluchen und Schimpfen kontrastiv". „Zwar bestehen (im Deutschen) einige verhüllende Euphemismen wie Sch…eibenkleister oder leck mich am Ärmel, doch ist der Tabugrad (von Schimpfwörtern) heute nicht mehr allzu hoch.“ Auch die Zeiten der grafischen Abkürzung wie Sch... seien ihrer Meinung nach vorüber.

Variationen über das Sch...
Beschimpfungen treffen meist unveränderbare, unvorteilhafte geistige oder körperliche Eigenschaften des Einzelnen oder der Gruppe. „Schimpfwörter zielen häufig auf die Schwachstellen einer ganzen Gesellschaft ab.“ bestätigt Oksana Havryliv. Was ist dann wohl die deutsche Schwachstelle? Laut Vogel und Nübling ist unsere Schwachstelle der fäkale Bereich. Scheiße ist das meistgenutzte Schimpfwort der Deutschen. Scheißkarre, beschissen, Schleimscheißer, verschissen oder verscheißern – wir erfinden fast genauso viele Wortderivationen für Scheiße wie für gut oder Liebe. Schimpfen lässt also nicht nur Dampf ab, sondern macht auch noch kreativ im Umgang mit Worten. Unmengen an Internetseiten zeugen von dieser Kreativität und stellen die aktuellen Lieblingsschimpfwörter der Deutschen auf. In den absoluten Top Ten sind gerade Monsterbacke, Teflongesicht und Evolutionsbremse.

Nicht in den Top Ten, aber auch beliebt sind Faa-Koo und Döllebes – zumindest bei den Spitzleis in Mayen. „Wenn die Inge neben mir spazieren geht und dann stolpert, dann ruf ich posthum: "Pass op, dou Döllebes!" Und dann lachen wir beide und gehen weiter.“ Ein Döllebes ist die Mayener Variante eines Tölpel, also eines Menschen, der gerne mal etwas ungeschickt und tollpatschig ist. Reinhold Spitzlei lacht: „Wir meinen das gar nicht immer so ernst, wenn wir schimpfen.“ Tatsächlich werden nicht alle Schimpfwörter als Beleidigung aufgefasst, bestätigt Aman. Es hängt, wie bei jedem Sprechakt, auch hier immer davon ab „Wer, wann, was, zu wem, unter welchen Umständen und mit welcher Absicht sagt“. So werden manche Schimpfwörter sogar benutzt, um einen anderen zu loben: "Mensch du toller Hund" oder "Du gerissenes Schlitzohr".

Die Welt wartet noch auf zahlreiche Helfer im Kampf um die Erforschung der schlechten Sprache besonders in der Linguistik. Vielleicht müssten alle so passioniert bei der Sache sein wie die Spitzleis aus der Eifel.

Informationen zur Autorin:
Eva Engels studiert Deutsch und Katholische Theologie auf Realschul-Lehramt an der Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz.

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Beep! Dieser Ton erklingt, wenn eine Arbeit des Rechtswissenschaftlers Christopher M. Fairman im US-Fernsehen vorgestellt wird. Ihr Titel lautet Fuck.
Von Amokläufern und Zuhältern. Eine Retrospektive auf die „Schimpfkultur“ im Bundestag.

Veröffentlicht am 14.11.2006
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